Die himmlische Ruhe.

Humoristische Skizze von Teo von Torn
in: „Leipziger Tageblatt” vom 19.07.1900,
in: „New Orleanser Deutsche Zeitung” vom 19.08.1900


Dr. Mallenbach zog eine nervöse Grimasse. Er legte den niedlichen Miniatursäbel, welcher ihm als Brieföffner diente, mit einigem Nachdruck auf den Tisch des Hauses und lehnte sich unter vorläufigem Verzicht auf den Genuß der Morgenpost resignirt in seinen Stuhl zurück.

Das nahm sich ein bischen ungeduldig aus — machte aber immerhin den Eindruck einer gewissen Hörbereitschaft, und das genügte der kleinen Frau Doktor vorläufig. Sie legte das silberne Löffelchen, mit welchem sie, wie unbewußt, an ihrer Kaffeetasse „Reveille geschlagen”, bei Seite, ließ die weiten Aermel ihres Negligés zurückfallen und stützte die schlanken weißen Arme auf den Tisch.

„Verzeih', Wolf, ich kann das Geklapper eigentlich auch nicht ausstehen, aber — wenn Du nicht hörst — —”

„Ich höre.”

„Aber Du hast nicht gehört,” warf die rosige junge Frau mit einer schmollend eigensinnigen Kopfbewegung ein; „Deine dummen Zeitungen und Briefe sind Dir interessanter, als was ich zu sagen habe.”

„Aber Lieschen —”

Viel mehr hätte auch ein mehr erfahrener Ehegatte als Dr. Mellenbach gegenüber dieser beliebten weiblichen Insinuation schwerlich einzuwenden gehabt. Eine eingehende Widerlegung hat nur den Effect, daß die Frau ungezählte Fälle anführt, wo es auch so gewesen ist, und man hat dann nicht mehr mit einem einzelnen Vorwurf, sondern mit einer langen und wenig übersichtlichen Reihe von uncontrolirbaren Factis zu thun, aus denen nur das Eine mit ziemlicher Bestimmtheit hervorgeht, daß man im Grunde ein ganz schlechter Mensch ist.

Mit dem liebevollen Brustton dieser zwei Worte gab sich Frau Elisabeth jedoch zufrieden. Sie neigte das Köpfchen mit den à la Stephanie aufgesteckten Flechten etwas zur Seite und fragte:

&bdquoi;Was also habe ich gesagt, großer Wolf?”

Dr. Mallenbach rückte mit einer ihm eigenen nervösen Dreifinger-Bewegung an seinem Kneifer und verschränkte die Arme.

„Wenn ich nicht irre,” erwiderte er nach einem flüchtigen, halb mißtrauischen, halb belustigten Aufblick, „hörte ich etwas wie Sommerwohnung oder dergleichen —”

&bdqo;Also doch!” rief die kleine Frau, indem sie sich aufrichtete und die blauen Schelmenaugen wie in hellem Erstaunen weit aufriß. Dabei legte sie ihre Händchen platt auf den Tisch. „Sieh mal, Wolf, da habe ich Dir wirklich Unrecht gethan —! Nun, und was sagst Du dazu?”

„Wozu —?”

„Wenn wir auf Sommerwohnung gingen.”

Wolf Mallenbach zuckte die Achseln, schlug heftig die Beine übereinander und sah zur Seite. Dann stützte er auch seinerseits die Arme auf den Tisch und sprach in dem Tone eines Menschen, der überzeugen will:

„Ich habe Dir neulich schon auseinandergesetzt, Lieschen, daß und weshalb es ein Unsinn ist. Du weißt auch, wie ich über sogenannte Sommerfrischen und Erholungsreisen denke. Ich habe nicht genug Einbildungskraft, um die Preisgabe aller Bequemlichkeiten und Lebensgewohnheiten als Vergnügen zu betrachten. — Na, siehst Du!” fügte er, erleichert aufathmend, hinzu, als seine Frau ihm freundlich zunickte.

„Ganz richtig, Männchen, aber — darum handelt es sich ja gar nicht. Du sollst nicht eine Deiner lieben Gewohnheiten aufzugeben brauchen, Du wirst in Trampdorf ebenso heftig an Deinem Augenglase rücken wie in Berlin; und wenn Du darauf Werth legst, magst Du mich dort ebenso schlecht behandeln wie hier.”

„Aber, Lieschen —!”

„Na, das ist doch wahr! — Nun sei mal vernünftig, Wolf — — der ganze Unterschied ist doch der, daß wir mal ein paar Wochen gesunde Luft athmen!”

„Ich meine, hier am Savigny-Platz —”

„— ist die Luft keinesfalls so gut, wie in dem schönen, waldumfriedeten Dorfe.”

„Aber ich muß doch arbeiten, Kind!” begehrte Mallenbach auf, indem er die nervös fuchtelnden Hände auf den Tisch fallen ließ. — Wiederum nickte die kleine Frau freundlich und zustimmend.

„Sollst Du auch, Männchen. Dein Schreibtisch geht unter allen Umständen mit. Ich weiß ja, daß Du an keinem anderen Möbel arbeiten kannst. Und ob Dir nun Deine Novellen und Essays von den Redactionen nach Berlin oder nach Trampdorf zurückgeschickt werden — — nein, Wolf, Du darfst mich nicht fressen, dann ist Deine kleine Frau hin, und Du kriegst vielleicht nie wieder die Wahrheit zu hören. Also, setz' Dich, großer Wolf, ich bin noch nicht fertig. Uebrigens weist ja auch heute Deine Post wieder mehrere verdächtige dicke Briefe auf, denen man das höfliche Bedauern der Redaction schon von Weitem ansieht. — Ja doch, Wölfchen, ich bin schon still! Aber, schau' mal — ich bin überzeugt, daß Du mit bedeutend mehr Chancen arbeiten würdest, wenn Du weniger gesellschaftliche Ablenkung hättest — ”

„Ich brauche Anregung!” rief Mallenbach, indem er seine Post unter den Arm klemmte und sich erhob.

„Gewiß, aber doch nicht immer dieselbe.”

Sie stand auf und hing sich an seinen Arm.

„Laß Dich mal von den Bauern anregen, Wolf, und schreib' Dorfgeschichten, die gehen jetzt. Und was so ein Rosegger kann, wirst Du doch auch noch zu Wege bringen, nicht wahr? Namentlich bei der Ruhe, — dieser himmlischen Ruhe! Denk' mal — Kein Wagengerassel, kein Straßenbahn­gebimmel! Nur die Vögel zwitschern —”

„Und mein Weib plappert,” ergänzte der Literat, mit dem süßsauren Lächeln des Besiegten.

„Pfui, Wolf, Du bist garstig!”

„Aber, Lieschen —”

Diesmal mußte Wolf Mallenbach noch einen Kuß hinzufügen, um seine Zerknirschung glaubhaft zu machen. Damit besiegelte er gleichzeitig seine Niederlage, bei der ihm nur der eine Trost blieb — es war die erste nicht.

*           *           *

Mallenbachs Sommerwohnung war ein kleines einstöckiges Gutshaus, welches dicht an den Wirthschaftshof stieß und aus unbekannten Gründen von dem Pächter selbst nicht bewohnt wurde. Es roch noch ein bischen muffig in den drei niedrigen Räumen, welche Frau Elisabeth's kundige Hand so wohnlich als möglich eingerichtet hatte; und Mine, das mitgenommene Mädchen für Alles, welche auf dem linken Flügel allein untergebracht war, erklärte schon nach drei Tagen, daß sie die Erholung wohl nicht lange aushalten würde — die Ratten hätten bereits an ihrem Schuhzeug genachtmahlt; wenn der Appetit dieser „Beester” noch weiter gehe, dann zöge sie unbedingt aus.

Dr. Mallenbach dagegen hatte sich schon ganz hübsch eingelebt. Sein Schreibtisch hatte ein gar lauschiges Plätzchen an einem der niedrigen, dicht von Epheu umrankten Fenster, aus dessen zwanzig viereckigen, in allen Farben des Regenbogens schillernden Scheibchen man einen wenn auch nicht weiten, so doch immerhin erquicklichen Ausblick auf eine Front von Bohnenstangen hatte. Es war ihm zur lieben Gewohnheit geworden, jeden Morgen seinen Platz erst in einem Myrmidonenkampfe gegen kriechende und fliegende Insecten sich zu erobern.

Vor allem aber die Ruhe — diese himmlische Ruhe! Nur die Vögel zwitscherten, und die Hühner gackerten und in dem Stalle drüben machte es Bäh und Muh in allen Stärken und Tonarten; dafür aber machte es in dem kleinen Verschlage rechts neben dem Hofe immer nur Kwuik — Kwuik — es war herrlich.

Mallenbach legte die Feder aus der Hand und salbte zum dritten Male an diesem Morgen seine Hände, seinen Hals und die frühe Lichtung auf seinem Haupte mit Salmiak. Es nützte zwar nichts — die Thierchen schienen sich an diese übelriechende Drogue bedeutend schneller gewöhnt zu haben als er selbst, aber man hatte doch die Beruhigung, etwas dagegen zu thun.

Dann erhob er sich, um dem Postboten entgegen zu gehen — eine der weniger reizvollen Abwechslungen, die er sichselbst eingerichtet hatte. Eben hatte er seinen Panama aufgestülpt und war in die Thür getreten, als Frau Elisabeth ihm mit dem Bündel Briefe und Zeitungen entgegentrat.

„Verzeih, Männchen, ich erwartete eine nachricht &mdas;”

„Aber das ist doch kein Grund, mein Kind,” erwiderte er nicht ohne Gereiztheit, indem er die Post an sich nahm, „kein Grund, mich in meinen bescheidenen ländlichen Vergnügungen zu beschränken.”

„So — und daß ich auch daran Vergnügen finden könnte, dem Postboten entgegenzugehen, daran denkst Du nicht. Natürlich, Ihr Männer nehmt ja eben Alles für Euch in Anspruch!”

Damit wandte sie sich ab und setzte sich ziemlich energisch auf die morsche, von Sonnenblumen umstandene Bank vor dem Hause. Mallenbach rückte an seinem Pincenez und sah auf sie herab mit dem Blicke eines Mannes, der sich in seinen schönsten Rechten bedroht sieht. Seine Stimmung schlug jedoch sofort in Moll um, als er einen feuchten Schimmer in ihren, starr auf die gegenüber liegende Scheune gerichteten Augen bemerkte.

Er setzte sich zu ihr — sie rückte heftig ab.

„Aber, Lieschen —”

Nichts. Kein Blick, keine Antwort. Erst nach einer ganzen Weile, da sie sich etwas erhob, um nach ihrem Taschentuche zu suchen, sagte sie mit zuckendem Munde:

„Ihr seid es überhaupt gar nicht werth, daß man sich so um Euch sorgt und gar keinen anderen Gedanken hat, als Euch das Leben so angenehm wie möglich zu machen.”

„Sage das nicht, Lieschen,” erwiderte er eifrig, indem er nach ihrer Hand angelte, „ich weiß, was ich an Dir habe. Du bist meine süße, kleine Frau, die nur auf mich bedacht ist. Was ist es also, was Deine Liebe wieder für mich vorbereitet?”

Obwohl sie ihm ihre Hand ließ, dauerte es doch noch eine Weile, ehe sie ihm antwortete.

„Ich habe wohl gesehen,” sagte sie schwermüthig, „daß Du doch unter dem Mangel an Gesellschaft und Anregung leidest — und da ich keinen anderen Wunsch habe, als Dich glücklich zu sehen, so habe ich mich entschlossen, Dir ein Opfer zu bringen —”

„Also ziehen wir wieder in die Stadt zurück!?” rief er mit aufleuchtenden Augen, und zwar sehr laut — einerseits mit der Kraft einer schier ungläubigen Freude und dann auch, weil eben in der Tenne nebenan das ratternde Toben der Dreschmaschine einsetzte.

„Te —” machte die kleine Frau achselzuckend, „nach kaum acht Tagen wieder in die Stadt! Damit die Bekannten uns auslachen! Na, kurz — ich habe Dir Gesellschaft besorgt.”

„Das ist sehr lieb von Dir, aber — —”

„Und zwar keinen Fremden, der Dich in Deinen Lebensgewohnheiten stören könte,” fuhr sie unbeirrt fort. „Ich habe Mama gebeten —”

„Hm —”

Dr. Mallenbach griff nach seinem Augenglas und fuhr mit dem Zeigefinger an dem inneren Rande seines Hemdkragens entlang. Dann nickte er krampfhaft begeistert vor sich hin. Frau Elisabeth trocknete ihre Augen.

„Ich wußte, daß Du Dich freuen würdest, Wolf — Mama schreibt eben, daß sie kommen würde; auch wird sie Edith und deren Aeltesten mitbringen. Du weißt doch, der arme Junge hat eine schwache Brust — —”

„gewiß — allerdings — — dem wird das sehr gesund sein hier,” beeilte sich Mallenbach zu erwidern, „— ich brauche ja der Neigung des lieben Knaben, aus meinen Manuscripten Papierschiffchen zu machen, keinen Vorschub zu leisten.”

„Jedenfalls freust Du Dich, Wolf, nicht wahr?”

„Sehr, Lieschen; ganz außerordentlich! Es wird reizend werden — die Mama und Edith — und — — hast Du aber auch schon daran gedacht, Herzchen, wie wir die Lieben unterbringen werden?”

„Ja, weißt Du, das eben wollte ich mit Dir besprechen. Du wirst mit Mine nach Berlin fahren müssen, um Betten zu holen.”

„Gern — natürlich werde ich die Betten holen — ich wüßte nichts, was ich lieber thäte — — — hier ist übrigens ein Brief von Stelzers, wenn ich nicht irre,” lenkte der Doctor ab, um dem in einem prüfenden Seitenblick sich äußernden Mißtrauen seiner Gattin keine weitere Nahrung zu geben.

„Von Stelzers?” rief die kleine Frau interessirt und rückte näher. „Wie nett! Aus Helgoland?”

„Nein, aus Berlin,” erwiderte er, nachdem er das bereits erbrochene Couvert noch einmal untersuchte. „Er scheint keinen Urlaub bekommen zu haben — da, lies, mein Kind, und sage mir dann, was der arme Kerl schreibt.”

Während Frau Elisabeth sich in den Brief vertiefte, ging Mallenbach an seine andere Post; und obwohl heute ausnahmsweise nicht ein Manuscript zurückgekommen war, wurde sein Gesicht lang und länger. Nachdem er das fünfte Schreiben geöffnet und gelesen, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, so daß die Spatzen aus den Sonnenblumen aufschwirrten und die junge Frau erschrocken emporfuhr.

„So ist's richtig!” rief er. „Ja, sag' mal, hast Du denn in Berlin annoncirt, daß wir in Trampdorf auf Sommerwohnung sind und Gesellschaft suchen? Krügers fragen an, ob sie für ein paar Tage genehm wären, Dieske mit Frau und Säugling kommen nächsten Mittwoch, Tante Reimers schon morgen — ob sie Ottilie und Grete wird mitbringen können, weiß die gute Frau noch nicht, aber kommen werden die auch! Eventuell später! Heimsoth will nächsten Sonntag anschwirren und Kroß vorübergehend einkucken! Ja, was denken sich denn die Menschen?”

„Das mußt Du die Menschen selbst fragen — übrigens möchte ich Dich bitten, von meiner leiblichen Tante wenigstens mit mehr Respect zu sprechen.”

„Also schön — Tante Reimers ist kein Mensch!” rief er grimmig. „Und wie denkst Du Dir die Unterbringung und Verpflegung all' dieser Herrschaften? Es dürfte Dir bekannt sein,daß wir in den letzten acht Tagen, abgesehen von einem trockenen Huhn, auch nicht ein Stück Fleisch gesehen haben!”

„Du mußt eben nach Berlin fahren und beim Schlächter die nöthigen Bestellungen machen — auch fünf oder sechs Kinderbetten mußt Du noch anschaffen — — es können aber einfache Feldbetten sein, weißt Du, — so zum Zusammenklappen.”

„Anschaffen? Es sind doch noch mindestens ein halbes Dutzend zu Hause!”

„Ja — ganz recht,” erwiderte die kleine Frau etwas zögernd und verlegen, „aber — das wird noch nicht reichen. Da Stelzers in diesem Jahre nicht verreisen können, bitten sie uns, ihre Kinder für den rest der großen Ferien aufzunehmen — —”

„Barmherziger!!! Diese sechs Irokesen!!!”

*           *           *

Die Ruhe — diese himmlische Ruhe! Nur die Vögel zwitscherten und die Hühner gackerten, und in dem Stalle drüben machte es Bäh und Muh in allen Stärken und Tonarten — — dazwischen tobten und johlten die Kinder, von denen täglich immer mindestens zwei in den Ententümpel fielen. Wolf Mallenbach aber fuhr jeden zweiten Tag nach Berlin — und wenn er nicht nach Berlin fuhr, dann fuhr er aus der Haut. Sogar Schwiegermama, Tante Reimers, Ottilie und Grete und all' die Anderen erklärten kopfschüttelnd:

„Wie kann man nur so nervös sein — — un dieser Ruhe — dieser himmlischen Ruhe!”

— — —